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Don Karlos, Infant von Spanien (Schauspielhaus) ***
Von Friedrich Schiller
Inszenierung: Shirin Khodadadian

Mit „Don Karlos“, einem schweren Klassik-Brocken startet das Nürnberger Sprechtheater in die neue Saison 2013/14. Die Dilemmata sind eigentlich schon im Originaltext angelegt: man weiß nicht recht, wer die dramatische Hauptfigur sein soll, man grübelt über die rechte Gewichtung von Politischem und Privatem und man verzweifelt fast an der überbordenden Konstruktionslust des Autors, was die brieflichen Verwicklungen dieser Fünfer-Beziehung betrifft. Um wie viel leichter tut man sich da mit einem „King Lear“ oder mit „Dantons Tod“! Selbst ein geradliniger Freiheitskämpfer wir der erfundene Marquis von Posa verfängt sich schließlich im Dickicht der Macht- und Liebesintrigen am Hofe.

So konnten auch die bemühte Regiearbeit von Shirin Khodadadian und das schauspielerische Engagement des Ensembles diese vom jungen Schiller veranlassten Schwierigkeiten kaum auflösen. Wenn es nach der Darsteller-Qualität geht, ist eigentlich König Philipp II. die interessanteste Hauptfigur, weil ihm Thomas Nunner (er spielte in der Nürnberger Inszenierung von 1997 noch den Don Carlos) sehr differenzierte Züge von Machtwille und Einsamkeit verleiht. Der jugendlich stürmerische Don Carlos von Martin Bruchmann erscheint dagegen genauso klischeehaft wie die aalglatte Fratze des Machiavellismus, die Thomas Klenk (wie fast immer) seinen Figuren, diesmal dem Herzog von Alba, überstülpt. Bei den beiden Damen bleibt fast nur in Erinnerung, dass Gräfin Eboli (Louisa von Spies) permanent am ganzen Leib zittert und dass Elisabeth (Karen Dahmen - neu in Nürnberg) sich zwangsläufig mit ihrem ausladenden Reifrock in den schmalen Gängen des Bühnenbilds (Carolin Mittler) verheddert. Die dreistündige Inszenierung versucht durch nachvollziehbare Personal-Verdünnung und durch die Einführung eines Briefe vermittelnden Pagen (Julian Keck) dem Zuschauer Hilfestellungen zu geben, die Atmosphäre der Intrige und der Überwachung im Königspalast wird durch eine teilweise verschattete Bühne mit vielen Nischen, Dreh-Hintergründen und Türen verdeutlicht. In der Gesamtoptik wirkt der Spielraum wie eine Verlängerung des Zuschauerraums. Das letztlich nur verwirrende Kaleidoskop der Brief-Botschaften führt zu viel Papier auf dem Boden, das wechselweise verstreut und wieder aufgesammelt wird. Der Jahreszeit Herbst angemessen dominieren bei den Kostümen die Brauntöne. Bei der Premiere gab es einhelligen Beifall, der jedoch nicht über eine gewisse Beliebigkeit dieser Theaterarbeit hinwegtäuschen kann. Somit nur ein viel sprechender, aber kein viel versprechender Auftakt.  


Einige Nachrichten an das All (Kammerspiele, Nürnberg) ****

von Wolfram Lotz
Regie: Markus Heinzelmann

Ganz ohne Zweifel hat der preisgekrönte „Nachwuchs“-Autor Wolfram Lotz die Dramaturgie der letzen 60 Jahre eifrig studiert und in bemerkenswert eklektizistischer Weise für seinen Theatertext  „Einige Nachrichten an das All“ benutzt. Da findet man also Beckettsche Absurditäten, Handkesche Sprach- und Meta-Theater-Spielereien, Straußsche Dialogführung und nicht zuletzt Jelineksche Grobtext-Brocken. Das Ganze verläuft auf mehreren „Handlungs“-Ebenen, wobei die Stationen-Talkshow des „Leiters des Fortgangs“ eine Art Grundgerüst bietet. Relativ sinnfrei hat Lotz in seinen Test noch zahlreiche Fußnoten eingestreut.

Eine prächtige Spielwiese also für einen Regisseur, auf der man natürlich grob scheitern (wie nach Meinung der Kritiker in Weimar) oder herzhaft brillieren (wie die Kritiker in Wien konstatierten) kann. Die Aufführung im Nürnberger Staatstheater (Kammerspiele), gestaltet durch Markus Heinzelmann, nähert sich dem Stück vor allem auf komödiantische Weise. Der Leiter des Fortgangs wird zu einer Johannes-B.-Kerner-Charaktermaske (Stephan Willi Wang), der seinen Gästen ein Wort für die Ewigkeit entlocken will - und am Schluss selbst das Substantiv „Unterhaltung“ (Untertitel: „Nur keine Leere aufkommen lassen“) auf Band spricht. Die Gäste sind eine dicke Frau aus dem Nachmittags-Talk, der Naturforscher Rafinesque, Heinrich v. Kleist (Stefan Lorch) und - lokal umgedeutet - Heimatminister Markus Söder (Marco Steger). Im Hintergrund wollen die zwei Körperbehinderten Purl und Lum beständig ein Kind haben, während ein alleinerziehender Vater (Adeline Schebesch!) sein Kind bei einem Unfall verliert. Was dies alles mit einem Weihnachtsspiel auf der onkologischen Kinderstation (als filmischer Hintergrund) und den Fußnoten von Henriette Schmidt zu tun, bleibt der Phantasie des Zuschauers überlassen. Wer sich diese Phantasie bewahrt hat und bei den Einstürzenden Kulissen nicht zu sehr erschrickt, dürfte an dem zweistündigen Abend durchaus Spaß finden.  


Das Himbeerreich
(Schauspielhaus Nürnberg) ****

von Andres Veiel
Regie: Petra Luisa Meyer

Die vom deregulierten Finanzkapitalismus ausgelöste Krise beschäftigt spätestens seit 2008 die Öffentlichkeit, gehört aber leider zu den Themen, die nie verständlich dem interessierten Publikum der Klein- und Bausparer erläutert wurde. Auffallend ist weiterhin, dass die politische Klasse anscheinend nicht in der Lage ist, mit gesetzlichen Maßnahmen oder Re-Regulierungen darauf zu reagieren.

Das Theater kann diese beiden Ansprüche schon gleich gar nicht einlösen, aber das neue Stück von Andreas Veiel versucht durch mehrere aus Interviews gewonnene Psychogramme die Menschen, die hinter dem abstrakten Finanzmärkten und Investmentbanken stehen, greifbar zu machen. Wie man diese anonymisierten und bearbeiteten (gekürzten) Interviews auf die Bühne bringen kann, ohne ein Hauptseminar der Neueren Finanzwissenschaft abzuhalten, demonstriert mit viel Kreativität die Inszenierung von Petra Luisa Meyer im Schauspielhaus Nürnberg. Sie beschränkt sich auf sechs markante Personen (darunter auch ein Chauffeur für die Finanzvorstände) und ergänzt eigenständig eine mal naiv, mal kritisch herumgeisternde Allegorie des Geldes (Josephine Köhler). Auf der Drehbühne erleben die Banker den Absturz von der luxuriösen Weihnachtsfeier im Nobel-Appartement zur gedemütigten Existenz im Kellerloch, sie monologisieren, sie dialogisieren und singen auch mal zwischendurch deutsche Schlager (von Bettina Ostermeier am Piano begleitet). Aus dem spielfreudigen Ensemble ragen diesmal Nicola Lembach und der altgediente Akteur Michael Hochstrasser hervor. Am Ende hat man sich an den Dummheiten und Selbstzweifeln der Spitzen-Banker ergötzt und kann zu Hause einen letztlich unveränderten Blick auf die Kontoauszüge werfen. Ein Ausweg aus dem Billionen-Spiel ist (noch) nicht sichtbar!